Teil 1 – Die Einzeltöter

Mai 17, 2012

Eine Serie über Verschwörungen? Nein. Vielleicht. Eine Antwort auf die Herausforderung meines Bruders, der mich für einen Spinner hält, weil ich die geniale, weltweite Konspiration des George Walker Bush gegen den Rest des Universums nicht sehen würde. Werd‘ erwachsen. Vielleicht auch Selbstfindung durch Theorienprüfung. Falls er Recht hat.

Ich möchte es gleich vorweg nehmen: die Serie wird nicht lang, und eine gewisse Tiefe auch nicht unterschreiten. Weil es unglaublich aufwendig ist, im Internet halbwegs vernünftige Quellen zu finden – vielleicht sogar unmöglich. Weil es dagegen für jeden Leser, Kritiker und Debattanten phantastisch einfach ist, im Internet sofort die abstruseste „Quelle“ herbeizufischen um eine Gegenfrage zu stützen oder zu formulieren. Weil eigentlich jeder Versuch, eine Antwort zu geben so zu noch mehr Fragen führt. Weil es bei willkürlich geschätzten 80% auf reine Selbstdarstellung, Dampfplauderei und verzerrendes Nachäffen hinausläuft. Weil das aber nicht drübersteht und deswegen auch nicht zwangsläufig heißt, daß es inhaltlich falsch sein muß. Und weil das dann irgendwann arschlangweilig und scheiß-mühsam ist, und verfickt nochmal zu Nichts führt.  Immerhin, erste Erkenntnis:

Wenn Geschichtsforschung in einigen Jahrzehnten nicht mehr ohne Internet als Quelle auskommen sollte, wird sich jeder BILD-Leser Historiker nennen dürfen. Diese Wissenschaft ist verdammt.

Ich sage auch dies vorweg: Da ich als Einziger die Weißheit zum Frühstück gelöffelt habe, ist das Nachfolgende natürlich absolut neu, weltbewegend, erschütternd und die objektive, verbindliche Wahrheit. Dabei geht es mir darum überhaupt nicht, um die Wahrheit. Es geht mir eigentlich darum, daß meine mehr oder weniger geschätzten Mitmenschen ihre festgezurrte Ideenwelt mal hinterfragen und genauer hinschauen, statt nach einem oberflächlichen Blick diese Weltanschauung noch fester zu zurren. „Schatzi, die blöde Kuh aus dem dritten Stock hat tatsächlich behauptet, der Osama wär schon zehn Jahre tot gewesen!“ – „Du weißt doch, daß die Alte spinnt, Liebling.“ Und damit ist das Thema durch. Zu einfach.

So einfach macht es mir mein Bruder nun nicht. Er beginnt mit der Brandstiftung im Reichstag, Februar 1933, der ihm die Augen geöffnet habe: Dieser sei – bezahlt durch die IG Farben, ausgeführt durch Nazi-Schergen und Marinus von der Lubbe in die Schuhe geschoben – der (relativ) offensichtliche Plan zum Kriegseintritt zum Zweck industrieller Gewinnmaximierung. Aha. Großes Kino. Also das ist auch nicht zu schwer.

Reichstagsbrand: IG Farben investiert in Krieg

Richtig, die IG Farben war neben der Friedrich Krupp AG wohl das am Meisten von der Nazi-Diktatur profitierende Unternehmen. Cui bono [1], der Schluß vom Nutznießer auf den Urheber, ist durchaus ein vernünftiger Ansatz seit seinem Urheber Cicero. Tatsächlich hatte die IGF 7 Tage vor dem Ereignis Hjalmar Schacht umgerechnet 13.2 Millionen Euro bei einem Geheimtreffen zugesagt.

Dabei handelte es sich aber wohl um Spenden für den Wahlkampf [2] und wenn man schon eine Investitionsfolge sehen möchte, dann doch eher das Feder-Bosch-Abkommen. Daß die IGF mit dem Geld quasi in einen profitablen Krieg geplant hineininvestiert hätte ist m.E. an den Haaren herbeigezogen und verwechselt einfach Ursache und Wirkung. Insbesondere wenn man sich den damaligen IGF Vorstandsvorsitzenden Carl Bosch ansieht, der mit dem Nationalsozialismus eher ein Problem hatte, sich deswegen 1939 sogar selbst das Leben nehmen wollte. Bosch scheint mir eher ein industriell-technokratischer Unternehmer mit einem Anflug von Gewissen als ein böser, visionärer Planer der ultimativen Umsatzsteigerung durch einen Weltbrand. Man könnte genauso gut behaupten, der Shell-Gründer Henri Deterding habe die Nazi-Ideologie durch Alfred Rosenberg gefördert, damit jemand in den 1940ern in Russland einmarschiert um ihm die 1917 enteigneten Ölfelder zurückzugeben. Cui bono als alleinige Handlungserklärung ist dreist kurzsichtig.

Einzeltäter gibt es nicht

Die Einzeltäterschaft Marinus von der Lubbe war lange garnicht so strittig, nachdem man in den 60er Jahren einige Quellenfälschungen zur Stützung der These der Nazi-Verschwörung entlarvte. Erst die moderne Brandursachenforschung wirft seit Ende der 80er neue Zweifel auf, daß van der Lubbe mit seinen Mitteln innerhalb von 20 Minuten ausreichend Feuer erzeugen konnte . Dies würde jedoch noch lange nicht bedeuten, daß die Nazis ihre schmutzigen Pfoten drin hatten. Warum sollte Goebbels 1941 in seinem Tagebuch berichten, er und Hitler hätten über die Urheberschaft gerätselt [3][4]?

Fest steht also nur, daß die Nationalsozialisten die Gelegenheit nutzten [5], um die unliebsame KPD konsequent auszuräuchern – und das hätten die Nazis sicher auch gemacht, ohne den Brand und von der Lubbe als Anlaß dafür zu haben.

Interessant in diesem Zusammenhang ist, daß Einzeltätern beinahe zwangsläufig unterstellt wird, sie seien eben keine Einzeltäter.

Kein Regime, das etwas auf sich hält, läßt die Gelegenheit aus, politische Gegner als Hintermänner zu diffamieren. Hitler Attentäter Georg Elser durfte lange nicht Einzeltäteter sein: Die Briten hätten dahinter gesteckt, so zunächst die Nazis. Nach dem Krieg, bis ’59, wurde ihm posthum unterstellt, tatsächlich selbst als SS-Angehöriger angeworben worden und eine Marionette des Regimes gewesen zu sein [6].

Der Schah des Iran nutzte das Attentat eines Einzeltäters zum Verbot der Tudeh-Partei, schlicht weil der Attentäter ein Sympathisant der Partei war. Lee Harvey Oswald als Marionette von wahlweise: Mafia, Lyndon B. Johnson, den Russen oder dem militärisch-industriellen Komplex aufzubauen ist ungemein hilfreich für … nun, eigentlich jeden. Als einzelner, durchgedrehter Mörder Kennedys wäre er dagegen ebenso langweilig wie widerum sein eigener Mörder Jack Ruby, der schon selbst dafür sorgte:

Everything pertaining to what’s happening has never come to the surface. The world will never know the true facts of what occurred, my motives. The people who had so much to gain, and had such an ulterior motive for putting me in the position I’m in, will never let the true facts come above board to the world. [7]

James Earl Ray hätte King besser im Auftrag des FBI erschossen – oder des KKK (nein, dafür gibt es komischerweise keine Theorie). Ohne seinen Templerorden wäre Anders Behring Breivik einfach nur ein Psychopath. Also Einzeltäter brauchen einfach Hintermänner, und suchen sie sich auch mal selbst wenn ihnen keine unterstellt werden. Hinter John Warnock Hinckley, dem Attentäter Ronald Reagans, stand sogar Jodie Foster, irgendwie.

Die offenkundig einzige Ausnahme ist das erste Attentat überhaupt, schlichtweg weil es an der Masse von Nutznießern mangelte, als Kain seinen Bruder erschlagen haben soll. Definitiv ein Einzeltäter, so sicher wie das Amen in der Kirche.

Sicher? Ist Kain nicht vielmehr der Inbegriff eines willfährigen Werkzeugs für den erfolgreichsten Plot überhaupt?

———– Nachtrag vom 6.1.2014 ———–

Sehr kurzweilig dazu ist die Argumentation des Quantencomputer-Experten und Professor am MIT Scott Aaronson darüber, warum Lee Harvey Oswald ein Einzeltäter gewesen sein muss, in 20 Punkten – und in Englisch.

[1] Cui bono, lat. „Wem zum Vorteil?“
[2] Wahlkampfspenden
[3] Reichstagsbrand, Diskussionsforum
[4] Reichstagsbrand bei Wikipedia
[5] Mommsen: Machtergreifung beschleunigt
[6] Georg Elser
[7] Jack Ruby (youtube)
Namen ohne Quellenangabe: Wikipedia

Abbildungen: brennender Reichstag 1933, Bürgerbräukeller nach dem Anschlag Elsers auf Hitler

2 Responses to “Teil 1 – Die Einzeltöter”


  1. […] Teil 1 – die Einzeltöter [2] Einsturz 7 WTC [3] Screw Loose Change [4] Wrackteile United 93 und hier aus dem Prozessbericht […]

  2. erika42 Says:

    Dazu kann ich empfehlen, „Das Foucaultsche Pendel“ von Umberto Eco zu lesen. Es hilft dabei, sich nicht die Krätze zu ärgern über die Anhänger diverser Verschwörungstheorien, die wahrscheinlich selbst noch nie an einer beteiligt waren.


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